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Publik-Forum Nr. 11 13.6.2008
Otto Ziegelmeier ist mit seiner Internetseite www.theology.de auf der Spur der Kirchen-Distanzierten – mit Erfolg
Von Georg Magirius
Wer bei Google das Stichwort »Theologie« eingibt, erhält als Adresse Nummer eins die Internetseite Theology.de. Deren Startseite ist mit »Theologie & Kirche im Web« überschrieben. Mehr als 2,8 Millionen Besucher hatte die Adresse seit Gründung im Jahr 1999, den Newsletter haben über 8000 Nutzer abonniert, Tendenz steigend. Verantwortet wird die Seite von Otto Ziegelmeier und – so heißt es auf der Startseite – dem »Team von Theology.de«.
Besuch in Frankfurt-Bockenheim im Büro dieser Domäne: Mitarbeiter sind keine zu sehen, nur ein Arbeitsplatz ist zu erkennen. Ein Regal deckt die große Längswand des Zimmers ab, darin theologische Lexika, religiöse und belletristische Titel, in der Raummitte ein Aquarium, unter dem Software platziert ist.
Otto Ziegelmeier ist ausgebildeter evangelischer Pfarrer, steht aber auf keinem kirchlichen Gehaltszettel. Er ist freiberuflicher PR-Berater, schreibt Texte und Vorträge, gibt Seminare, gestaltet Internetseiten. Dank Theology.de, das er ehrenamtlich betreibt, verkehrt Ziegelmeier täglich mit denen, über die man in den verfassten Kirchen zwar spricht, ohne aber mit ihnen wirklich ins Gespräch zu kommen. Gemeint ist die Gruppe der sogenannten Kirchen-Distanzierten, die laut Bertelsmann-Studie 2007 zwar religiös, aber am kirchlichen Gemeindeleben eher desinteressiert sind. Viele von ihnen kontaktieren offenbar ohne Scheu Theology.de. Das liegt sicher auch daran, dass das Angebot überkonfessionell und von kirchlichen Institutionen unabhängig betrieben wird: »Ich will aufklären und informieren«, sagt Otto Ziegelmeier. Täglich erhält er zwischen fünf und fünfzehn Mails: »Da kommt eine Frage aus Paris, ein Kommentar aus Hongkong, eine Frau aus dem Bayerischen Wald sucht die Lösung für ein Quiz. Ein anderer schreibt, er wolle sich umbringen, ein Schüler sucht Material für ein Referat zum Thema Schöpfung.«
Die Idee für den Auftritt im Web hatte der Theologe vor zehn Jahren. »Das Internet ist die zweite Medienrevolution nach Gutenberg«, dachte er sich. »Die Erfindung des Buchdrucks wurde zum Katalysator für die Reformation, also dürfen die Kirchen die Entwicklung des Internets nicht verpassen.« Damals war er bereits einige Jahre Pfarrer gewesen, danach PR-Leiter bei einer Firma, hatte journalistische Erfahrungen gesammelt; dazu gesellte sich technische Neugier für das noch neue Medium. Er schlug der bayerischen, dann auch der hessen-nassauischen Landeskirche vor, sich im Internet zu präsentieren. Antwort: »Das ist schwierig, das geht nicht, vielleicht können wir in einigen Jahren eine halbe Stelle schaffen.« So lange wollte er, der Firmen wie Porsche und Audi im EDV-Bereich beraten hatte, nicht warten. 1999 stellte er die ersten zwölf Seiten von Theology.de ins Netz, inzwischen sind es über 2500 geworden.
»Das ist mein großes Hobby, nein, noch mehr, es ist Verkündigung.« Eine Form der Verkündigung, die durch die Fragen der Nutzer lebendig wird. Dass viele Menschen religiöse Fragen haben, ist ihm während der Studienzeit in München aufgegangen. »Bei Hugendubel wurde das Regal mit theologischer Literatur kleiner, das Angebot an esoterischer Literatur immer größer. Die Titel änderten sich fast monatlich, ständig gab es einen neuen Guru, die Fragen aber überlebten.«
Sie sind es, die dem Webmaster von Theology.de ein großes Team bescheren. »Meine Mitarbeiter sind die Nutzer! Ihre Anliegen haben die Seiten wachsen lassen und ihnen im Lauf der Jahre ihr Gesicht gegeben.« Einmal wollte sich ein Paar informieren, wie es sich kirchlich trauen lassen könne; er sei »ein bisschen katholisch«, seine Partnerin habe die Jugendweihe erhalten. Der Angeschriebene antwortete, stellte aber – durch die Frage angeregt – zusätzlich Informationen zum Thema Trauung ins Netz, später auch über Taufe und Beerdigung: ein Service, der häufig heruntergeladen wird. Die Unbefangenheit der theologischen Nicht-Insider sei die Triebfeder zur Erweiterung des theologischen Angebots, sagt Ziegelmeier. Fragen seiner Mitarbeiter brachten ihn auch dazu, regelmäßig Buchtipps zu geben und religiöse Feiertage zu erklären.
Viele wollen auch Informationen zum Koran. Ziegelmeier macht sich mithilfe muslimischer Experten kundig, antworten will er selbst. Interreligiöse und interkonfessionelle Berührungsängste hat er nicht, zu Studienzeiten gründete er mit anderen einen Arbeitskreis »Protestanten, Katholiken und Juden im Gespräch«. Religiöse Offenheit bedeutet für ihn allerdings nicht, alles zu bejahen. Es gebe manchmal auch »die Zuwendung des Widerspruchs«. Ein Mann aus Texas etwa schrieb: »Alle Muslime sind vom Teufel!« In solchen Fällen antwortet er sachlich, erklärt, fragt sich aber auch, woher diese Angst kommt.
Das Internet ermögliche eine eher »unverbindliche Verbindlichkeit«, findet Ziegelmeier. Er sieht sich als Seelsorger, seinen Newsletter eröffnet er mit der Rubrik »Angedacht«. Deren Stil ist prägnant und anekdotenhaft. Wie wichtig ihm die Bildhaftigkeit ist, zeigt sich, als er mitten im Gespräch aufsteht und das Aquarium zeigt: »Das ist wie die Welt des Internets!« Auch das Aquarium brauche Pflege, habe eigene Strukturen. »Steuern kann man die Fische nicht, die haben ihren eigenen Willen. Einmal haben sie die Wurzelhöhle durch das halbe Aquarium an den Ort transportiert, wo sie sie haben wollten.« Ein anderes Mal habe ein großer Fisch angefangen, die kleinen zu fressen. Den nahm er schnell heraus. Was das übertragen heißt? »Der große Fisch – vielleicht ist das die Gefahr, als Theologe die Stimmen der Kleinen, ihre Hoffnungen, Fragen und Ängste zu erdrücken.«
»Verkündigung ist nicht an Kirchenräume gebunden«, findet Ziegelmeier. Vielleicht entstünden durch das Internet auch neue Formen von Kirchlichkeit. »Beim Abendmahl wird es natürlich schwierig. Andererseits kann auch so etwas wie Beichte und Vergebung geschehen, vielleicht ist sogar auch der Segen möglich.«
Ziegelmeier selbst hält Kontakt zu seiner Ortsgemeinde, engagiert sich in der Stadtteilarbeit. Theology.de ist mit vielen Kirchengemeinden unterschiedlicher Konfession verlinkt, also keine isolierte Welt. Das zeigen auch Reaktionen auf einen seiner Newsletter. Dort hatte er das Durcheinander von Weihnachts- und Adventszeit kommentiert: »Ich liebe Weißwurst, ich liebe Ananas – am liebsten also wäre mir ›Weißwurst Hawaii‹. Nur – das kann ich nicht zusammen essen, das passt nicht zusammen. Also: Alles hat seine Zeit.« Viele Zuschriften erhielt er, die schönste Reaktion war ein Paket zu Weihnachten, darin Weißwürste mit Senf, zugesandt von einem Münchner Feinkosthändler. In Auftrag gegeben war die Sendung von einer der vielen Mitarbeiterinnen von Theology.de, einer Frau aus Kalifornien.
Abbildung: Publik-Forum Nr. 11 13.6.2008 - S. 67 - 68
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