Theißen/von Gemünden: Der Römerbrief

Würde man nach einem Gottesdienst die Gottesdienstteilnehmenden nach ihrem biblischen Lieblingsbuch fragen, würden wahrscheinlich die meisten die Psalmen nennen; fragte man dann auch den/die PfarrerIn, würde wohl eher eines der Evangelien, vielleicht auch der Römerbrief genannt werden. Denn er ist der wichtigste Paulusbrief, und nicht ohne Grund wurde er in der Geschichte der Kanonwerdung an die erste Stelle der neutestamentlichen Briefliteratur gestellt. Der Untertitel „Rechenschaft eines Reformators“ in diesem hier anzuzeigenden Kommentar unterstreicht dies. Im Übrigen gibt es kaum ein Jahrhundert in der Geschichte des Christentums, ohne dass nicht ein Kommentar zum Römerbrief erschienen wäre. Besonders im Protestantismus genießt er seit Martin Luther eine herausragende Stellung; über ein Jahr lang hielt Luther 1515/16 Vorlesungen zum Römerbrief. Nach vielen Kommentarversuchen auch im 20. Jahrhundert, hier nun der neueste und erste im 21.Jahrhundert.

Dieser Kommentar ist ein Gemeinschaftswerk des emeritierten Heidelberger Neutestamentlers Theißen und seiner 1957 geborenen Schülerin; von Gemünden lehrt seit 2002 in Augsburg Biblische Exegese. In Vorwort und Einleitung stehen wichtige Grundsätze ihres Kommentars und ganz am Anfang ein Gesamtergebnis:

- „Paulus wollte den jüdischen Glauben erneuern... Paulus war ein Reformator des Judentums, wurde aber gegen seinen Willen zum Architekten des Christentums.“ (S. 13) Dem vergleichbar wollte Luther die mittelalterliche katholische Kirche reformieren, wurde jedoch zum Begründer einer neuen Kirchenfamilie. Sehr unterschiedlich gestaltete sich jedoch ihr Verhältnis zum jüdischen Volk. War Luther ursprünglich projüdisch eingestellt (vergleiche die erste ´Judenschrift´ von 1523), wurde dann jedoch immer judenfeindlicher, so entwickelte sich bei Paulus seine ursprüngliche „antijüdische Kritik zu einer positiven Haltung.“ (S. 14; siehe Röm 9-11)

- „Methodisch vertiefen wir die traditionelle Exegese durch eine bildsemantische, psychologische und sozialgeschichtliche Lektüre des Römerbriefs.“ (S. 19) Außer in Einzelergebnissen, darf man gespannt sein, inwieweit sich eine multiperspektivische Lektüre bewähren wird.

- Dieser innovative Ansatz hat zur Folge, dass die beiden Autoren nicht - wie üblich - eine Vers-um-Vers-Exegese vornehmen, sondern dass sie den ganzen Brief unter verschiedenen Aspekten jeweils in seiner Ganzheit lesen (siehe S. 16) Sehr nachteilig wirkt dies sich für alle diejenigen aus, die sich speziell für einen Abschnitt des Römerbriefes interessieren. Denn sie müssen unter Anleitung des Stellenregisters (S. 536-554) und vom „Sach- und Stichwortregister“ (S. 555-560) viel im Kommentar blättern und sich in verschiedene Zusammenhänge einlesen.

Insgesamt darf man gespannt sein, wie die exegetische Fachwelt diesen neuen, preiswerten Kommentar aufnehmen wird. (gm)

Gerd Theißen, Petra von Gemünden
Der Römerbrief
Rechenschaft eines Reformators

1. Auflage 2016
560 Seiten gebunden
ISBN 978-3-525-51013-1
Vandenhoeck & Ruprecht
40,00 €

V&R



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