Utsch/Demmrich: Psychologie des Glaubens

Nach meinem zweiten theologischen Examen war ich als ökumenischer Stipendiat ein Jahr lang in den USA, hauptsächlich in einem der damals 13 methodistischen theologischen Seminare. Etwas, was mir in diesem Jahr schon bald auffiel und sich immer mehr verfestigte, war der pragmatische Zugang zur Welt - auch zu Fragen des Glaubens. So sollten wir einmal in einer Kleingruppe in kurzen Worten notieren, was jeder Einzelne unter Glauben versteht, vor allem aber, wie sich der persönliche Glaube entwickelte und wo sich jede/r heute sieht. Im Fortgang dieser Veranstaltung lernten wir dann unter anderem die fünffache Definition von Glaube durch den Religionssoziologen Charles F. Glock und religionspsychologische Literatur wie Belgums „Religion and Personality in the Spiral of Life“ oder Fowlers „Stages of Faith“ (seit 2000 auch auf deutsch greifbar; ihn erwähnen Utsch/Demmrich mehrmals) kennen. So etwas hatte ich in über sechs Jahren deutscher akademischer Theologie nicht erlebt. Da ging es nämlich so gut wie ausschließlich um objektive Fakten und Tatsachen, wie etwa um den Glauben Abrahams, den Glaubensbegriff bei Paulus oder um das Glaubensverständnis des Hebräerbriefes. Immer ging es um den Glauben von oben her, nicht um meinen Glauben oder um den Glauben anderer.

Wer so verkopft denkt und lebt, der braucht erst gar nicht zu diesem neuen, so besonderen Glaubensbuch zu greifen. Denn das Autorenduo (beide sind in [religions-} psychologischer Forschung, Lehre und praktischer Psychotherapie tätig) betrachtet den Glauben in seinen urmenschlichen Dimensionen – im Bilde gesagt von unten her. Deshalb: „Glauben ist menschlich“, so die Überschrift über Teil I und so lautet der erste Satz im Vorwort und so steht es auf der Buchrückseite.

Weil das unbestritten so ist, kann, ja muss auch psychologisch vom Glauben geredet werden, auch über „die psychologische Messung von Religiosität, Spiritualität und Glaube“ (S. 37-48), von den Vorteilen (Glaube vermittelt Sinn und „Glaube kann die Todesangst reduzieren“, so die Überschrift zu S. 66-82), aber genauso auch von den Schattenseiten (siehe auf S. 201-227 zu Fundamentalismus, Extremismus und Missbrauch) .

Sehr interessant fand ich die Abschnitte zur „Entwicklungspsychologie des Glaubens“ und zu positiven und negativen Glaubenserfahrungen (negative Gottesbilder, geschlossene religiöse Gruppen).

Im kurzen „Ausblick“ werben die Autoren für eine Überwindung einer billigen Wissenschaftsgläubigkeit und für eine Integration der Dimension des Glaubens, auch in unserem sozialen Leben.

Zum Schluss die folgenden fünf Bemerkungen:
1. Utsch/Demmrich betrachten den Glauben rein erfahrungswissenschaftlich, also unparteiisch und weltanschaulich neutral - jenseits jeder Glaubensentscheidung. Deshalb wird – wenn ich recht sehe - auch keine einzige Bibelstelle zitiert.
2. Das Buch enthält 63 Abbildungen, viele Grafiken und Infoboxen. Das erleichtert die Lektüre und fördert das Verständnis. Es ist ein Studienbuch im besten Sinne, das mit Recht seinen Platz in der berühmte utb-Reihe einnimmt.
3. Die Literaturliste auf den eng bedruckten S. 307-344 ist sehr umfänglich und hilft beim tieferen Einsteigen.
4. Leser*innen vermissen ein Namens- und ein Sachverzeichnis. Dies sollte unbedingt in der 2.Auflage nachgeholt werden.
5. Über die Kategorie Lehr- und Studienbuch weit hinaus führt es, wenn man das Buch subjektiv gewendet ganz für sich im Bick auf seinen eigenen Glauben liest. Als Folge dessen wird man reflektierter und differenzierter über ´den Glauben´ reden. (gm)


Michael Utsch, Sarah Demmrich
Psychologie des Glaubens
Einführung in die Religionspsychologie
Mit einem Vorwort von: Bernhard Grom

344 Seiten, mit 63 Abb. und 3 Tab., kartoniert
ISBN: 978-3-8252-6056-9
UTB, 1. Auflage 2023
28,-- €

Vandenhoeck&Ruprecht Göttingen


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