Schubert, Helga: Luft zum Leben. Geschichten vom Übergang

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Helga Schubert: Luft zum Leben. Geschichten vom Übergang

Helga Schubert: Luft zum Leben. Geschichten vom Übergang

Helga Schubert legt mit Luft zum Leben einen Erzähl- und Essayband vor, der sechseinhalb Jahrzehnte Schreiben bündelt und die großen Schwellen des Lebens ausleuchtet: Geburt und Sterben, Liebe und Verantwortung, Diktatur und innere Freiheit, Krankheit und Heilung, Glauben und Zuversicht. Schon der Untertitel „Geschichten vom Übergang“ ist Programm. Im Vorwort verortet die Autorin das Buch ausdrücklich als Lebensbogen „von 1960 bis 2025“ und beschreibt die Sammlung als Mischung aus Erzählungen, Vorträgen, Aufsätzen und sogar kurzen Vignetten aus Nachrichten – darunter auch Texte, „die in der DDR keine Druckgenehmigung erhielten“ und die sie jahrzehntelang aufhob.

Inhalt und Komposition

Der Band ist sorgfältig ediert und mit editorischen Notizen versehen, die Entstehungsjahr und Erstveröffentlichung jedes Stücks nachweisen. So entsteht eine innere Chronik: von frühen Stücken wie „Lebenstopf“ (1960) und „Meine Lieblingsstunden“ (1962) über DDR-Erzählungen („Das verbotene Zimmer“, „Innenhöfe“, beide 1979) bis zu ganz neuen Texten von 2024/25. Das ausführliche Inhaltsverzeichnis zeigt die Spannweite – Familien- und Frauenleben, Erinnerungsorte (z. B. „Ein Friedhof in Como“), Zeitdiagnosen („Die Diktatur ist die Täterin. Oder?“), poetische Miniaturen („Nur die Sonne“) und eine berührende Folge von Berlin-Texten.

Mehrere Stücke markieren biografisch-politische Knotenpunkte. In der Einleitung erinnert Schubert an die Zensurerfahrungen und die „operative“ Überwachung wegen eines Samisdat-Vorhabens – Dokumente aus ihrer Stasi-Akte werden im Buch zitiert. Dadurch gewinnt das literarische Bekenntnis zur Freiheit eine authentische Tiefe. Andere Texte machen existenzielle Grenzsituationen anschaulich: die Geburt des ersten Kindes („ein kleines … Kind, die Nabelschnur um den Hals“, 1960er Jahre), die Diagnose und Begleitung bei Krebs, die Nähe des Todes im nüchternen Licht eines OP-Saals – stets ohne Pathos, aber mit seelischer Genauigkeit.

Stil und Ton: Lakonische Präzision – tröstliche Wahrhaftigkeit

Schuberts Prosa ist bekannt für lakonische Klarheit und genaue Bilder. Oft genügen wenige Striche, um eine Atmosphäre entstehen zu lassen – etwa in „Meine Lieblingsstunden“, wo wenige Zeilen Meer, Wind, Abendluft und die Stille des Inneren aufrufen. Sie verbindet Beobachtungsgenauigkeit mit einer leisen, zugewandten Ironie; das Ergebnis ist eine Literatur der „inneren Freiheit“, die ohne große Geste tröstet, weil sie nichts beschönigt. Der Band bestätigt, was der Verlag im Klappentext verspricht: Geschichten aus Ost-Berlin, Moskau oder Mecklenburg von Sehnsucht, Aufbruch und Abschied – lakonisch, präzise, „voller Menschlichkeit“.

Theologisch-philosophisch ist das Buch bemerkenswert, weil es den Ernst des Menschlichen mit einer Haltung der Hoffnung verbindet. Im Vorwort formuliert Schubert explizit ihr Leitmotiv: „Es gibt immer einen Ausweg in eine Rettung, es gibt immer einen Übergang in eine vorher unsichtbare unvorstellbare Lösung.“ Diese Hoffnung ist keine Abkürzung, sondern entsteht in der geduldigen Wahrnehmung von Schmerz, Schuld und Gnade – ein Ton, der an eine praktische Weisheit des Christentums erinnert. In kleinen Glaubensspuren – etwa einer plattdeutschen Kachel mit „TAU VERSICHT“ (Zuversicht) und „MUT“ – schimmern Trost und Tugendethik auf, ohne jemals moralisierend zu werden.

Die Autorin

Helga Schubert (*1940, Berlin) ist Schriftstellerin und Psychologin; sie prägte mit Prosa, Hör- und Fernsehspielen die DDR- und Nachwende-Literatur und wurde 2020 mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis einem sehr breiten Publikum (neu) bekannt. Ihr Werk kreist seit Jahrzehnten um das genaue Erzählen des Alltags, um Frauen- und Freiheitsgeschichten und um die Frage, was Menschen in bedrängter Zeit trägt.

Luft zum Leben ist eine eindrucksvolle Selbstanthologie – literarisch solide gesetzt, editorisch zuverlässig dokumentiert, inhaltlich reich. Wer verstehen will, wie persönliche und politische Übergänge sich wechselseitig auslegen, findet hier eine Schule der Wahrnehmung. Für die Gemeindebibliothek, die Erwachsenenbildung, für Gesprächskreise zu Biografie, Freiheit und Trost ist dieser Band ein Gewinn. Und für die Einzelne, den Einzelnen gilt: Diese leise Literatur weitet den Atem.

Helga Schubert
Luft zum Leben
Geschichten vom Übergang

2025
288 S.
ISBN 978-3-423-28513-1.
Gebunden 24,00 €

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